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Auf der Erde gibt es acht Milliarden Menschen, die in Afrika leben


Afrika wächst

Blick auf den von Menschen überfüllten Oshodi Markt in Lagos, Nigeria

Allein in Nigeria, hier der Oshodi Markt in Lagos, leben mehr als 200 Millionen Menschen. © Getty Images / olasunkanmi ariyo

Von Sebastian Felser und Tilo Spanhel · 14.11.2022

In diesen Tagen überschreitet die Erdbevölkerung laut den UN die Acht-Milliarden-Grenze. Besonders stark wächst Afrika – hier vor allem Länder wie Nigeria, Niger und Kongo. Das liegt an Armut, fehlender Bildung und politischen Präferenzen.

Laut dem “World Fact Book” liegt die Bevölkerungszahl von Nigeria derzeit bei 225 Millionen Menschen. Aber so einig ist man sich da nicht:

"Nigeria hat nach unserer Schätzung eine Bevölkerung von 216 Millionen Menschen", meint Nasir Isa Kwarra, Vorsitzende der Bevölkerungsentwicklungskommission in Nigeria. Seine eigene Schätzung schränkt er gleich wieder ein:

"Diese Zahl ist abgeleitet von unserem Zensus 2006  – also einer Volkszählung, die jetzt 16 Jahre alt ist und Sie werden mir zustimmen: Eine Ableitung aus einem Datensatz, der so alt ist, kann in die falsche Richtung führen."

Deswegen gehört Nasir Isa Kwara zu den starken Befürwortern des Plans, eine neue Volkszählung durchzuführen in Afrikas bevölkerungsreichstem Land – noch 2022 oder spätestens 2023, damit seine Kommission die Daten dann auswerten kann.

Der Grund für die Unsicherheit ist nicht nur das Alter der Daten, es ist auch das rasante Bevölkerungswachstum in Nigeria.

In dieser Folge des Weltzeit-Podcasts kommentiert Stefan Ehlert die westliche Sicht auf den rasanten Bevölkerungszuwachs in Afrika. Der Journalist lebt seit 20 Jahren auf dem Kontinent, derzeit in Mosambik, und meint: "Wir sollten aufhören, Afrika als überbevölkertes, exotisches Elendsquartier zu betrachten und stattdessen das Potenzial unserer Nachbarinnen und Nachbarn erkennen."

Pro Jahr steigt die Zahl der Menschen in dem westafrikanischen Land, das knapp dreimal so groß ist wie Deutschland, derzeit um rund fünf Millionen. Bei den Gründen wird auch auf die Religion geschaut.

Kritik von Pastor an Polygamie bei Muslimen

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Das “World Fact Book” legt auf Basis von Daten aus dem Jahr 2018 nahe, dass etwa 55 Prozent der Menschen in Nigeria Muslime sind. Etwa 45 Prozent gehören einer christlichen Kirche an.

Dies ist ein durchaus relevanter Faktor in Fragen der Bevölkerungsentwicklung, denn im Islam darf ein Mann mehrere Frauen heiraten. Pastor Simon Donli kritisiert das und zitiert erst mal die Bibel:

"Die Ehe ist der Bibel sehr wichtig. Da steht, Gott hat dem Manne eine Frau geschaffen – deswegen soll jeder gute Christ eine Frau heiraten. Aber nur eine!"

Für den christlichen Geistlichen ist die Polygamie im Islam unverantwortlich:

"Wenn so jemand stirbt, werden die Kinder Probleme bekommen, weil es zu viele Erben gibt! Das Erbe wird von Generation zu Generation kleiner. Das sieht man an der Landwirtschaft: Früher hat ein Hof für eine Familie gereicht. Er brachte genug Ertrag. Jetzt geht es der Wirtschaft schlecht, die Höfe sind klein und werfen nicht mehr genug ab, deswegen finde ich, Männer, die mehr als eine Frau heiraten, verursachen viele Probleme."

Die Zahl der Kinder, so ist Pater Simon Donli überzeugt, sollte etwas mit der ökonomischen Situation einer Familie zu tun haben:

"Nirgends in der Bibel gibt’s eine Mindestzahl von Kindern. Als Menschen sollten wir doch aber so vernünftig sein, nicht mehr Kinder zu bekommen, als so viele, um die wir uns auch kümmern können."

Islamischer Gelehrter: "Westen besessen von Geburtenkontrolle"

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Davon hält Hussaini Zakaria gar nichts. Der Scheich ist islamischer Gelehrter am muslimischen Forum in Nigerias Hauptstadt Abuja.

"Es ist doch der Westen, der so besessen von der Geburtenkontrolle ist. Dort denkt jeder, sein Reichtum gehöre ihm allein. Die Leute haben nur wenige Kinder. Diese Kinder beerben sie, wenn sie sterben und die armen Länder Afrikas und Asiens sind ihnen einfach egal. Sie wollen nur was von den Armen wissen, wenn sie dreckige Jobs zu vergeben haben, die sonst keiner machen will, und wenn so ein Job erledigt ist, sagen sie: zur Hölle mit dir!"

Im Islam, sagt der Gelehrte, gebe es einen Ansatz, der dafür sorge, dass Bevölkerungswachstum überhaupt kein Problem sei:

"Der Reichtum Amerikas gehört der ganzen Welt. Aber auch der Reichtum Nigerias gehört der ganzen Welt. Der Reichtum der Welt gehört den Menschen. Jeder sollte Zugang zu diesem Reichtum haben – als Menschen sollten wir einander helfen."

Blick auf die Nigerianische Nationalmoschee in Abuja bei Nacht

Polygamie soll es Nigeria unter Muslimen und Christen geben. Hier die Nigerianische Nationalmoschee in Abuja.© Getty Images / Irene Becker Photography

Allerdings auch Scheich Husaini Zakaria ist nicht entgangen, dass auch in muslimischen Ländern Armut besteht. Das war in früheren Zeiten so – das ist heute noch immer so, in einigen Bereichen vielleicht sogar schlimmer.

"Leider dominiert der Westen mit seinen Vorstellungen sogar die Muslime. Auch sie wollen nicht einsehen, dass das, was sie haben, eigentlich allen gehört. Sie teilen nicht – oder sie teilen nur um des eigenen Vorteils willen und nicht, um die Hungrigen zu speisen."

Soziologe: das Problem ist die Wirtschaftsstruktur

VIDEO: Weltbevölkerung wächst über 8 Milliarden
ZEIT ONLINE

In Nigeria steht nächstes Jahr die Präsidentschaftswahl an. Immer wieder gibt es Meldungen, dass Christen und Muslime zu einer Art Wettrennen angetreten sind, wer sich effektiver fortpflanzt und so bei zukünftigen Wahlen mehr Stimmgewicht bekommen könnte.

Sogar polygame Beziehungen unter der christlichen Bevölkerung soll es geben, bei denen ein Mann nach Vorbild vieler Muslime in Nigeria mit bis zu vier Frauen leben kann. Pastor Simon Donli verurteilt das natürlich.

Es gibt allerdings auch Wissenschaftler, die darauf hinweisen, dass nicht das Bevölkerungswachstum selbst das Problem sei. Hussein Tukur ist Soziologe an der Universität von Nasarawa:

"Wir haben heute acht Milliarden Menschen auf der Welt und doch reicht die Lebensmittelproduktion unseres Planeten, um all diese Menschen zu ernähren. Das Problem ist die Wirtschaftsstruktur und die Art von Wirtschaft, über die ein Land verfügt."

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Eine große Bevölkerungszahl könne eine wichtige Ressource sein, betont Tukur – aber unter einer Bedingung:

"Angenommen, sie haben eine konsumwillige Bevölkerung, die über eine gute Ausbildung spezialisierte Fähigkeiten erlangt hat. Wenn Sie dann noch über Industrie verfügen, entsteht ein Kreislauf. Sie produzieren, die Bevölkerung konsumiert die Produkte, dadurch ist die Beschäftigung gesichert – Kreativität und Innovation entstehen. In diesem Fall ist eine große Bevölkerungszahl ein Vorteil."

Nigeria, so muss aber auch der Soziologe einräumen, ist eher der Gegenentwurf zu diesem Kreislauf: "Wir sind eine Importnation. Wir müssen fast alles einführen. In der Situation, wenn Sie eine schlecht ausgebildete Bevölkerung haben und noch dazu ein Handelsdefizit, bedeutet das, dass Sie ihr Potenzial nicht ausschöpfen können und noch dazu jede Menge innere Konflikte bekommen – genau das, was in Nigeria heute passiert: Verschiedene Gruppen streiten um die knappen Ressourcen und Machtpositionen und so entstehen Spannungen in der Gesellschaft."

Nigerias Präsident will "moderne Familienplanung"

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Nasir Isa Kwarra, der Vorsitzende der Bevölkerungsentwicklungskommission in Nigeria, hofft deswegen weiter auf den neuen Zensus, um wenigstens valide Zahlen zu haben:

"Wir müssen nur unsere Wirtschaft besser managen, damit wir uns um die Bevölkerung kümmern können, damit für jede und jeden einzelnen ein gutes Gleichgewicht aus Einkommen und Leistungsfähigkeit entsteht. So müssen wir die Bürgerinnen und Bürger selbst befähigen, den Lebensunterhalt und gewissen Wohlstand zu erwirtschaften."

Im kommenden Jahr wird er dann vielleicht wissen, ob er mit diesem Vorhaben 200, 225 oder –wie einige Experten schon jetzt schätzen – sogar über 250 Millionen Menschen erreichen muss in Nigeria. Präsident Muhammadu Buhari hat Anfang des Jahres bereits Maßnahmen für "moderne Familienplanung" vorgestellt, um die Zahl von fünf Geburten pro Frau zu senken.

Ägypten hatte unter Mubarak weniger Geburten

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In Ägypten ist die Regierung dort schon etwas weiter. Ex-Machthaber Hosni Mubarak setzte sich ab den 1990er-Jahren aktiv für die Senkung der Geburtenrate ein. Er sah das große Bevölkerungswachstum als Gefahr für den Wohlstand des Landes an.

Portrait vom ägyptischen Präsident Hosni Mubarak, der im März 2010 Deutschland besucht

Der gestürzte ägyptische Präsident Hosni Mubarak senkte durch Maßnahmen die Geburtenrate auf 3,0 Kinder pro Frau. © Getty Images / Sean Gallup

Mubarak nahm viel Geld in die Hand, auch mit Unterstützung durch die USA, um Tausende Beratungsstellen im ganzen Land zur Familienplanung ins Leben zu rufen und mit Werbung auf das Thema aufmerksam zu machen. Dadurch sank die Zahl der Geburten pro Frau auf 3,0 – der niedrigste Stand in der ägyptischen Geschichte bis heute. Auch die Säuglingssterblichkeit ging erheblich zurück.

Hohe Geburtenrate unter Muslimbrüdern

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Nach Mubaraks Sturz 2011 und auch schon kurz vorher stieg die Zahl der Geburten jedoch wieder an. Ihren Höhepunkt erreichte die Rate mit 3,5 Kindern pro Frau unter der Herrschaft der Muslimbrüder. Sie legten alle Investitionen von Mubarak auf Eis, weil dessen Politik "gegen die reproduktiven Freiheiten des Menschen verstößt und damit auch gegen die Menschenrechte".

Nach der Machtübernahme durch den Ex-General Al-Sisi 2014 sinkt die Fertilitätsrate von Jahr zu Jahr leicht auf derzeit 3,2 Geburten pro Frau. Er erneuerte einige Maßnahmen, die es schon unter Hosni Mubarak gegeben hatte, aber investiert vor allem in große Bauprojekte. Trotzdem nennt Präsident Al-Sisi Überbevölkerung als größtes Problem Ägyptens.

Die Folgen sind für die Menschen jeden Tag spürbar: Straßen und U-Bahnen sind völlig überfüllt in den Kernzeiten, 60 bis 70 Kinder gehen in eine Klasse. Es gibt einen akuten Wassermangel. Felder werden zugebaut, weil immer mehr Wohnraum gebraucht wird. Dadurch gibt es weniger Weizen und der Brotpreis steigt.

Langfristig steigt somit die Gefahr von Hunger und das Potenzial für größere Proteste.

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Author: Devin Campbell

Last Updated: 1703157361

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Name: Devin Campbell

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Job: Teacher

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